Rodrigo de Rato y Figaredo
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Die bisher erzielten Fortschritte der Verhandlungen sind enttäuschend
Rodrigo de Rato
Geschäftsführender Direktor, Internationaler Währungsfonds
Welt am Sonntag
11 Dezember 2005

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Ab kommenden Dienstag werden führende Handelsbeauftragte aus der ganzen Welt in Hongkong zur Sechsten Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO) zusammentreffen. Ihre Aufgabe: einen Kurs für die multilateralen Doha-Handelsgespräche festzulegen, der diese Verhandlungen bis Ende 2006 zu einem ambitionierten Abschluß führt. Bei dieser wichtigen Aufgabe brauchen und verdienen sie unsere ausdrückliche Unterstützung.

Die bisher erzielten Fortschritte sind enttäuschend, und es wird nicht leicht sein, die Doha-Runde wieder auf Kurs zu bringen. Volkswirtschaften aller Entwicklungsstufen können davon profitieren. Auf Besitzstandswahrung ausgerichtete Interessengruppen haben jedoch bisher einen übermäßig großen Einfluß auf die Verhandlungen ausgeübt, was dazu geführt hat, daß die notwendigen Entscheidungen aufgeschoben wurden. Bevor sich das Zeitfenster schließt - was in den kommenden Monaten geschehen wird - müssen sich die Regierungen gegen die Gruppen durchsetzen, die für die Beibehaltung hoher Handelshemmnisse eintreten. Eine weitere Verzögerung würde die Verwirklichung der UN-Millennium-Entwicklungsziele, die weltweite Armut bis 2015 zu halbieren, verlangsamen. Verzögerungen würden außerdem in Ländern aller Entwicklungsniveaus Chancen für Wirtschaftswachstum zerstören, und sie würden einen reibungslosen Abbau der globalen Ungleichgewichte behindern. Ein multilaterales Handelssystem mit weltweit anerkannten Regeln und Streitschlichtungsmechanismen liegt im Interesse aller Länder.

Die Logik der Handelsreform ist einfach, klar und zwingend. Eine weitere Öffnung der globalen Märkte für Industriegüter, Landwirtschaft und Dienstleistungen würde Vorteile für alle Länder sowie für die Weltwirtschaft insgesamt mit sich bringen.

Für die Entwicklungsländer - insbesondere die ärmsten Länder - würde ein Umfeld geschaffen, das dem Export förderlicher ist. Dies würde sie in die Lage versetzen, das Wachstum zu beschleunigen und Investitionen anzuziehen und es würde dazu beitragen, Millionen von Menschen aus der Armut zu befreien. Offenere Exportmärkte würden außerdem zusätzliche Anreize geben, die Reformen durchzuführen, die es den Entwicklungsländern ermöglichen, neue Chancen optimal zu nutzen, unter anderem indem sie den Handel untereinander verstärken. Die Stärkung des Exportpotentials der Entwicklungsländer ist ein wichtiger Bestandteil der Strategie der internationalen Gemeinschaft, die Folgen der hohen Schuldenlast der Dritten Welt zu mildern.

Die fortschrittlichen Volkswirtschaften und die Länder mit mittlerem Einkommen können ebenfalls davon ausgehen, daß eine Öffnung der Weltmärkte ihr Wirtschaftswachstum steigern würde. Fast alle diese Länder verzerren den Wettbewerb durch Politikmaßnahmen, die bestimmten wirtschaftlichen Interessengruppen zugute kommen, aber gleichzeitig die breite Bevölkerung durch Steuern und höhere Preise belasten.

Dies gilt sicherlich für die Agrarpolitik der OECD-Länder, die ihren Landwirten jährlich etwa 100 Milliarden Dollar an Subventionen bereitstellen und gleichzeitig ihre Märkte hinter hohen Zollmauern abschotten.

Aber es gilt auch für die Länder mit mittlerem Einkommen, die bestimmte Sektoren des verarbeitenden Gewerbes schützen. Und Beschränkungen im Handel mit Dienstleistungen belasten Länder aller Einkommensstufen. Die Wohlstandsgewinne, die durch Reformen erzielt werden können, die diese Handelshemmnisse abbauen, belaufen sich auf Hunderte von Milliarden Dollar pro Jahr. Reformen dienen vor allem den Ländern, die sie durchführen. Denn die Erfahrung zeigt, daß offene Volkswirtschaften stärker und nachhaltiger wachsen als geschlossene Volkswirtschaften.

Schließlich gibt es auch Vorteile für die gesamte Weltwirtschaft. Reformen zur Öffnung der Märkte würden eine reibungslosere Anpassung der Weltwirtschaft an die globalen Entwicklungen ermöglichen. Flexible Güter- und Dienstleistungsmärkte erleichtern den Volkswirtschaften die Anpassung an Rohstoffpreisschocks oder makroökonomische Ungleichgewichte zwischen den verschiedenen Regionen der Welt. So hat zum Beispiel Alan Greenspan, der Vorsitzende der US-Zentralbank Federal Reserve, hervorgehoben, daß flexible Märkte wichtig sind, um es der amerikanischen Wirtschaft zu ermöglichen, ihr hohes Leistungsbilanz-Ungleichgewicht auf geordnete Weise abzubauen. Eine weltweite Öffnung der Märkte würde eine ähnliche Rolle für die Weltwirtschaft spielen.

Der IWF, die Weltbank und andere haben die legitimen Anliegen einiger Entwicklungsländer zur Kenntnis genommen, die darauf hinweisen, daß eine ehrgeizige Handelsliberalisierung negative kurzfristige Auswirkungen haben kann. Es ist außerdem möglich, daß einige Länder die Chancen einer offenen Weltwirtschaft auf Grund einer unzureichenden Infrastruktur, unzulänglicher Fachkenntnisse und institutioneller Schwächen nicht voll nutzen können. Diese Länder verdienen die Hilfe der internationalen Gemeinschaft. Wir brauchen überzeugende Angebote an finanzieller und technischer Hilfe. Das bedeutet, kurz gesagt, Hilfe zur erfolgreichen Teilnahme am Welthandel. Der IWF ist dazu bereit, durch technische Hilfe, Politikberatung und auch Finanzhilfe seinen Teil dazu beizutragen. Erst im vergangenen Jahr hat der IWF einen Handelsintegrationsmechanismus eingeführt, der speziell der Sorge Rechnung trägt, daß multilaterale Handelsreformen negative Auswirkungen auf die Zahlungsbilanz der Länder haben können.

Die Verantwortung für den Erfolg in Hongkong liegt bei allen Ländern. Und schon allein wegen der Größe ihrer Volkswirtschaften müssen die Industrieländer Führungsstärke beweisen. Schwellenländer wie Brasilien, China und Indien nehmen im Welthandel jedoch eine immer wichtigere Rolle ein, und eine stärkere Öffnung ihrer Märkte könnte anderen Entwicklungsländern, insbesondere den am wenigsten entwickelten Ländern, große Chancen eröffnen. Ich hoffe, daß wir in einigen Jahren auf die WTO-Tagung in Hongkong zurückblicken und feststellen können, daß sie die Grundlagen für eine weitreichende Öffnung des Nord-Süd-Handels gelegt hat. Ein solcher Durchbruch würde dazu beitragen, die beeindruckenden Wachstumsraten der fortgeschrittenen Entwicklungsländer aufrechtzuerhalten und die Exportaussichten der weniger entwickelten Länder zu verbessern.

Viele Nationen, Gruppen und gewöhnliche Bürgerinnen und Bürger auf der ganzen Welt teilen unsere Sorge angesichts der Not der Armen und teilen unseren Wunsch, dauerhaftes Wirtschaftswachstum und Stabilität zu sichern. Eine Liberalisierung des Handels und eine Öffnung der Märkte durch die Doha-Runde wären eine große Hilfe. Die Teilnehmer der Konferenz in Hongkong stehen vor einer schwierigen Aufgabe. Wir sollten ihnen Erfolg wünschen. Wir sollten sie aber auch deutlich dazu aufrufen, ein Ergebnis zu erzielen, das so ehrgeizig wie möglich ist.




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