Ein Mann geht an der griechischen Nationalbank vorbei. Die Banken Griechenlands haben ihre Liquidität, Vermögensqualität und Governance verbessert (Aufnahme: Michalis Karagiannis/Newscom)

Ein Mann geht an der griechischen Nationalbank vorbei. Die Banken Griechenlands haben ihre Liquidität, Vermögensqualität und Governance verbessert (Aufnahme: Michalis Karagiannis/Newscom)

Griechenland: Große Fortschritte, aber Nachwirkungen der Krise müssen beseitigt, inklusives Wachstum gefördert werden

31. Juli 2018

Griechenland hat seine außergewöhnlich hohen Haushalts- und Leistungsbilanzdefizite ausgeglichen und Wachstum wiederhergestellt. Jetzt muss das Land die Nachwirkungen der Krise beseitigen und inklusives Wachstum fördern, so der IWF in seinem jährlichen Gesundheitscheck der griechischen Volkswirtschaft.

Anlässlich der Veröffentlichung des Jahresberichts zum Zustand der griechischen Wirtschaft traf sich IWF-Länderfokus mit Peter Dohlman, dem Missionsleiter für das Land, zu einem Gespräch über die Ergebnisse des Berichts, die wichtigsten Empfehlungen zur Verbesserung von Wachstumsaussichten und Lebensstandard und die künftige Beziehung des Fonds zu Griechenland.

Das Programm zwischen Griechenland und dem IWF geht zu Ende. Was hat Griechenland in dieser Zeit erreicht?

Bevor ich Ihre Frage beantworte, möchte ich Griechenland mein Beileid aussprechen für die tragischen Waldbrände in Attika.

Doch nun zu Ihrer Frage. Griechenland kann eine Menge Erfolge vorweisen. Es hat seine außergewöhnlich hohen Haushaltsdefizite abgebaut (von einem Defizit von 15 Prozent des BIP 2009 zu einem Überschuss von knapp über einem Prozent 2017) und seine Außenwirtschaftstransaktionen, seine Leistungsbilanz, nahezu ausgeglichen. Dazu waren einige schwierige Entscheidungen nötig, einschließlich Renten- und Steuerreformen, sowie Verbesserungen in der öffentlichen Verwaltung, zum Beispiel eine unabhängigere Einkommensverwaltung.

Gleichzeitig hat Griechenland bessere soziale Sicherheitsnetze geknüpft, wie das Solidaritätseinkommen. Das Land machte zudem seine Arbeitsmärkte flexibler und Löhne wettbewerbsfähiger.

Im Bereich Waren und Dienstleistungen wurden viele Sektoren entsprechend den Empfehlungen der OECD liberalisiert, das Regelwerk für Investitionslizenzen wurde unternehmensfreundlicher und Wettbewerbsschranken für mehrere geschlossene Berufe wurden aufgehoben.

Erst vor kurzem verabschiedete Griechenland wichtige Gesetze zur Abwicklung notleidender Kredite, was für die Gesundung der Banken unabdingbar ist. Diese Bestrebungen haben im Verbund mit besseren außenwirtschaftlichen Bedingungen und anderen Faktoren das Wachstum wiederhergestellt. Wir gehen deshalb davon aus, dass das Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze mittelfristig zulegen werden. Des Weiteren bewertete die Regierung die Kapitalmärkte neu, bis jetzt aber hauptsächlich für das Management von Verbindlichkeiten.

Die gebilligte Bereitschaftskredit-Vereinbarung des IWF wurde nie aktiviert. Heißt das, dass Griechenland seine Reformen nur unzureichend umgesetzt hat?

Die Vereinbarung zur Unterstützung des staatlichen Anpassungsprogramms für die Wirtschaft wurde grundsätzlich gebilligt und sollte in Kraft treten, sobald der Fonds bestimmte und glaubwürdige Versicherungen von den europäischen Partnern Griechenlands zur Gewährleistung der Schuldentragfähigkeit bekam – unter der Voraussetzung dass das griechische Wirtschaftsprogramm nach Plan verläuft.

Obwohl die Versicherungen zur Schuldenerleichterung nicht rechtzeitig kamen, gab die Vereinbarung den Gläubigern ein gewisses Maß an Vertrauen, Geld an Griechenland auszuzahlen, und trug zum Abschluss der zweiten Prüfung des ESM-Programms im Juli 2017 bei.

Sie lieferte auch einen guten Rahmen, in dem wir die Politikmaßnahmen eng mit Griechenland und den europäischen Institutionen koordinieren konnten, und sie stärkte die Zugkraft.

Ist das Land nach seiner hart erkämpften Erholung jetzt über den Berg?

Griechenland hat zwar viel erreicht, aber es gibt noch beträchtliche Nachwirkungen aus der Krise. Bekannte Beispiele sind die außerordentlich hohe Staatsverschuldung, notleidende Kredite, Arbeitslosigkeit und hohe Armutsquoten.

Griechenland muss diese Nachwirkungen angehen. Zugleich muss es nachhaltig höheres Wachstum erreichen und im Euroraum wettbewerbsfähig bleiben. In unserem Stabsbericht fordern wir einen Ausgleich der Fiskalpolitik, um das Wachstum besser zu unterstützen und soziale Sicherheitsnetze zu stärken; eine aggressivere Stärkung der Bankbilanzen, damit wieder Kredite vergeben werden können; und weitere Schritte zur Förderung von Produktivität und Governance. Griechenland muss weiterhin Sozial- und Investitionsausgaben schützen und innerhalb der hohen Überschussziele agieren, die das Land mit den europäischen Institutionen vereinbart hat.

Wie wird der Fonds zukünftig mitwirken?

Wie bei allen Fondsmitgliedern werden wir unseren jährlichen Gesundheitscheck der Volkswirtschaft durchführen, also die Artikel-IV-Konsultation, zu der umfassende Gespräche mit den griechischen Behörden über das gesamte Spektrum der Wirtschaftspolitik gehören. Der Fonds überwacht zudem Länder in der Folgezeit eines Programms, wenn nach Beendigung des Programms noch hohe Zahlungen an uns ausstehen; wir werden also häufiger Kontakt mit den Behörden Griechenlands haben als beim jährlichen Artikel-IV-Zyklus.

In diesem Zusammenhang werden wir zweimal jährlich an unser Exekutivdirektorium berichten: durch den Artikel-IV-Konsultationsprozess und die Überwachung in der Programmfolgezeit und später die Veröffentlichung unserer Ergebnisse. Bei dieser Tätigkeit arbeiten wir mit den europäischen Institutionen zusammen.

Ein Großteil unserer Beziehungen mit Griechenland in den letzten Jahren entfiel auf technische Hilfe, und wir gehen davon aus, dass wir auf Antrag der Behörden auf bestimmten Gebieten damit weitermachen werden, wie Verwaltung von Einkünften und Verwaltung der Staatsfinanzen.

Griechenland ist noch sehr hoch verschuldet. Ist die Schuldenerleichterung vonseiten der europäischen Partner für Griechenland ausreichend?

Die unlängst verabschiedete Schuldenerleichterung durch die europäischen Partner im Verbund mit einem großen Geldpuffer und der Tatsache, dass es sich bei den meisten Staatsschulden Griechenlands um niedrig verzinste Schulden des öffentlichen Sektors handelt, trägt zu einer wesentlichen Verbesserung der Aussichten bei, dass Griechenlands seinen Marktzugang mittelfristig behalten wird.

Wenn die Schulden des öffentlichen Sektors jedoch fällig und durch kostspieligere Marktschulden ersetzt werden, wird die Bedienung der Schulden für Griechenland nach und nach schwieriger. Griechenland muss viele Jahre lang hohes BIP-Wachstum erreichen und gleichzeitig große Primärhaushaltsüberschüsse erzielen, wenn es seine öffentliche Verschuldung weiterhin abbauen will.

Die Zusage der europäischen Partner, im Bedarfsfall nach einer Überprüfung 2032 weitere Schuldenerleichterung zu gewähren, ist in dieser Hinsicht ein wichtiges Auffangnetz.

Es wurde viel über die starken Rentenkürzungen gesprochen, die die Regierung im Rahmen des Kreditprogramms vorgenommen hat. Warum sind sie notwendig?

Diese im Voraus verabschiedeten Gesetze werden 2019 in Kraft treten und sind ein weiterer Schritt in Richtung inklusives Wachstum. Sie werden den allgemeinen Haushaltssaldo des Staates nicht ändern, aber zu einem ausgewogeneren Verhältnis zwischen Rentenausgaben, gezielter sozialer Unterstützung (so etwa für einkommensschwache Haushalte und Arbeitslose) und Investitionen beitragen.

Rentenreform ist unabdingbar, damit das System seine Verbindlichkeiten gegenüber den Rentnern langfristig erfüllen kann; sie wird auch für mehr Gerechtigkeit im System sorgen – sowohl in der jetzigen Generation von Rentnern als auch zwischen jetzigen und künftigen Rentnern. Manche Rentner, die lange Jahre Beiträge eingezahlt haben, werden von dieser Reform profitieren.

Auf ihrem Höhepunkt 2015 verschlangen Renten 38 Prozent der allgemeinen öffentlichen Haushaltsausgaben und machten Staatstransfers in das Rentensystem in Höhe von 9,5 Prozent des BIP notwendig. Das Sozialhilfesystem Griechenlands konzentrierte sich damals stark auf Renten, die äußerst großzügig im Vergleich zu Gehältern oder zu den Beiträgen, die die Rentner während ihrer Berufsjahre eingezahlt hatten, ausfielen. Die massiven Ausgaben für Renten, einschließlich der Renten für relativ wohlhabende Bürger, ließ wenig Raum für die direkte Unterstützung der Bevölkerung, die am stärksten von Armut gefährdet war, so etwa einkommensschwache Haushalte und Arbeitslose.

Warum sieht der IWF die Pläne der Behörden zu einer Rückkehr zum alten Tarifverhandlungssystem mit Sorge?

Zu den größten Leistungen Griechenlands in den letzten acht Jahren gehören ein flexiblerer Arbeitsmarkt und eine wettbewerbsfähigere Lohnstruktur nach den Tarifverhandlungsreformen von 2011. Der Staat betrachtete diese Änderungen stets als vorübergehend und will sie jetzt wieder umkehren. Das heißt, dass die Regierung einmal mehr die zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern in einem bestimmten Sektor oder Berufszweig ausgearbeiteten Tarifverträge auf alle Arbeitnehmer in diesem Sektor oder Beruf ausdehnen muss.

Das führt zu weniger Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt und möglicherweise zu einer Entkoppelung von Löhnen und Produktivität auf Unternehmensebene, was keine guten Voraussetzungen sind, um die Arbeitslosigkeit abzubauen und die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands im Euroraum zu stärken. Es schränkt auch die Flexibilität der Firmen für Umstrukturierungen ein, die angesichts des Schuldenüberhangs von Banken, Steuern und Sozialversicherungen nach wie vor notwendig ist.

Kann man die Banken Griechenlands jetzt als gesund betrachten?

Die Banken Griechenlands wurden von der Krise schwer getroffen. Nach dem Einschreiten des Privatsektors in die Umstrukturierung von Staatsschulden 2012 haben die griechischen Banken an Wert verloren. Dieser Wertverlust wurde durch Bankkreditnehmer verschärft, die einfach nicht in der Lage waren, ihre Kredite zu bedienen, und durch absichtlich säumige Zahler, die sich den Schuldnerschutz in einem schlecht funktionierenden Justizsystem zunutze machten und Kredite nicht mehr bedienten, die sie sehr wohl zurückzahlen konnten. Im Verbund mit den starken Abflüssen von Einlagen in der ersten Jahreshälfte 2015 wurde dadurch die Fähigkeit der Banken, neue Kredite bereitzustellen, stark eingeschränkt.

Allerdings hat sich in wichtigen Punkten eine schrittweise Verbesserung eingestellt, so bei der Liquidität insgesamt, bei der Vermögensqualität und Governance. Die Portfolios der Banken schrumpfen jedoch weiter, was negative Folgen für die Kreditvergabe hat, und es bleibt noch viel zu tun, um das Vertrauen in das Finanzsystem wieder voll herzustellen und die Rolle der Banken als Vermittler neu zu beleben.

Man muss betonen, dass die Behörden jetzt stärkere Gesetze und regulatorische Regelwerke zur Verfügung haben, um notleidende Kredite abzuwickeln. Diese Instrumente sollte man einsetzen und verbleibende Einschränkungen der Kapitalströme umsichtig im Einklang mit der vereinbarten Vorgehensweise aufheben.

Das Reformprogramm Griechenlands läuft weiter. Welchen Nutzen kann sich das Land von der Umsetzung dieser Reformen erwarten?

Griechenland braucht höheres, inklusiveres und nachhaltiges Wachstum. Griechenland steht an einem schwierigen demografischen Wendepunkt: seine Bevölkerung altert und wird kleiner, was weniger Erwerbstätige bedeutet. Deshalb muss es noch mehr tun, um die Beteiligung am Arbeitsmarkt und Produktivität zu erhöhen und Investitionen anzulocken.

Wir gehen davon aus, dass sich der volle Nutzen bestehender Reformen schrittweise bemerkbar machen wird. Nachhaltige Reformbestrebungen über die bereits in der Pipeline befindlichen Reformen hinaus sind notwendig, wenn Griechenland mehr Investitionen ins Land holen, mehr hochwertige Arbeitsplätze schaffen und besseren sozialen Schutz gewähren will.

Die unbeirrte Umsetzung von Reformen wird den Wohlstand und das Wohlergehen der griechischen Bevölkerung schrittweise verbessern, die griechische Wirtschaft widerstandsfähiger gegenüber Schocks machen und die Lücke zu den Partnern im Euroraum schließen.